Umgang mit dem Erleuchtungs-Syndrom im betrieblichen Alltag
• Der Prozess der Erleuchtung
• Der Zustand
• Missionarische Pflicht
• Die Kommunikation
• Im unternehmerischen Alltag
Der Prozess der Erleuchtung
Er lässt sich vielleicht am besten erklären, wenn man ihn mit einem Wechsel der Perspektive vergleicht. Hier ändert man den Blickwinkel oder setzt eine Art Brille auf mit der man Dinge in einem anderen Licht betrachtet. Bei einer „Erleuchtung“ ist eine Rückkehr zum Ausgangspunkt nicht möglich. Man sieht nun alles mit anderen Augen, nicht nur aus einer anderen Perspektive, sondern von einer höheren Warte. Man befindet sich eine Erkenntnisebene darüber. Man sieht die Welt nicht mehr so wie zuvor.
Der Prozess kann schlagartig sein, es kann sich aber auch um eine schleichende Entwicklung handeln. Fast immer wird die Perspektive nicht erweitert, sondern verengt. Die Erwartungshaltung und „selbsterfüllende Prophezeiungen“ verstärken das neue „Weltbild“, indem missliebige Informationen ignoriert und passende verstärkt wahrgenommen werden.
Der Zustand
Man fühlt sich auf einer höheren Ebene der Erkenntnis. Das gilt sowohl gegenüber dem Zustand vorher, aber besonders anderen gegenüber.
Wer nicht über die gleiche Einsicht verfügt, ist im besten Fall bemitleidenswert oder verdient gar Verachtung. Dies macht überlegen und steigert das eigene Selbstwertgefühl.
Was leicht verkannt wird: Diese neue Ebene ist eine andere logische Ebene, mit anderer Ordnung und Struktur. In der Selbstschau ist deren Logik eine höhere Logik; der Außenstehende wird dies meist anders sehen.
Eine Verständigung zwischen Angehörigen verschiedener logischer Ebenen ist schwierig, besonders wenn sich jeder dem anderen überlegen fühlt. Ein kommunikativer Austausch wird unmöglich: man redet aneinander vorbei.
Wer sich allerdings auf der gleichen Ebene befindet, wird betrachtet, wie ein Verwandter im Geiste. Je abwegiger und damit seltener die eigene Position ist, desto mehr schweißt das zusammen.
Missionarische Pflicht
Wer im Besitz der alleinigen Wahrheit und der letztgültigen Erkenntnis ist, für den ist es fast eine heilige Pflicht, seine Mitmenschen nicht in Dunkelheit und Unwissenheit zu lassen. Voraussetzung dazu ist, dass die eigene Weltsicht, wo immer passend oder unpassend, zum Ausdruck gebracht wenn nicht „verkündet“ wird. Es spielt keine Rolle, um welche Art Erleuchtung ist sich handelt. Unwichtig ob es um Politik, Religion, Ernährungsgewohnheiten, Führungsstil u.s.w. geht, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Der vom Erleuchtungs-Syndrom Betroffene verspürt fast eine moralische Verpflichtung zur Aufklärung und reagiert nicht selten unwillig, wenn sich sein Gegenüber verstockt zeigt. Er kann nur den Kopf darüber schütteln, warum die Welt was – nach eigener Logik – so klar auf der Hand liegt, nicht versteht. Für manchen ist es daher durchaus Ansporn, nicht nachzulassen im bekehrenden Eifer.
Die Kommunikation
Die Kommunikation mit Andersdenkenden ist – man denke an die unterschiedlichen logischen Ebenen – schwierig bis unmöglich. Die jeweils andere Seite wird schnell als ignorant, selbstherrlich oder einfach nur „dämlich“ eingestuft.
Es ist schwierig mit jemandem, der vom Erleuchtungs-Syndrom infiziert ist, zu argumentieren, und in der Regel unmöglich, dessen Überzeugungen zu ändern. Im Privatleben sollte man solchen Leuten aus dem Weg gehen. Im Geschäftsleben ist das meist nicht möglich. Hier ist Fingerspitzengefühl erforderlich, um nicht in eine ungewollte Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. Die beste Möglichkeit dürfte sein, jeden missionarischen Annäherungsversuch zu übergehen. Auf keinen Fall sollte man auf den Austausch von Argumenten zur „Erleuchtungsthematik“ eingehen, und wenn möglich das Gespräch in eine neutrale Richtung lenken.
Im unternehmerischen Alltag
Zunächst ist zu unterscheiden, ob eine harmlose Macke vorliegt, die den Unternehmenszielen nicht im Weg steht. Ein echtes Erleuchtungs-Syndrom, bei Chefs wie Mitarbeitern, kann aber eine Gefahr für die Unternehmenskultur und Gift für jede Teamarbeit sein.
Insbesondere die Corona-Krise hat gezeigt, dass krude Weltbilder keine seltene Ausnahme sind. Auch extreme Ansichten sind selbstverständlich Privatsache. Wenn aber jemand beginnt, damit im Unternehmen hausieren zu gehen, man denke an Verschwörungstheoretiker, Anhänger von Q-Anon, extremer gesellschaftlicher Überzeugungen, Esoteriker, radikale Impfgegner usw., dann ist Wegsehen keine gute Alternative.
Vorgesetzte, die das Problem zwar erkennen, aber nicht handeln machen sich mitschuldig. Ein frühes Mitarbeitergespräch ist immer sinnvoll, etwa:
„Ich wünsche nicht, dass hier Betrieb…“
„Es ist ihre Privatsache wenn sie … aber hier im Betrieb …“
Wenn alles nichts nützt und das Betriebsklima oder betriebliche Abläufe ernstlich gestört werden, müssen auch deutlichere Konsequenzen in Betracht gezogen werden.